Konzept für ein neu zu schaffendes Museum, mit dem das „Museum für Völkerkunde“ (MVK) und das „Volkskundemuseum“ (ÖMV) zusammengeführt werden.

Ein gemeinsames Museum von MVK und ÖMV wäre eine der größten und bedeutendsten kulturwissenschaftlichen Einrichtungen seiner Art in Europa mit einem Bestand von einer halben Million Exponaten. So ein Museum muss allerdings mehr sein als die synergetische Verschmelzung zweier Institutionen. Es könnte zwar Kulturen aller Kontinente dokumentieren, müsste darüber hinaus aber vor allem ein stets attraktiver Ort der Begegnung sein, an dem die Zeugnisse unterschiedlichster Lebenswelten heute und aus der Vergangenheit das grundsätzliche Verständnis für kulturelle Vielfalt stärken.

 

Zehn grundsätzliche Überlegungen dazu:

  1. Jedes Museum sollte charakteristische gesellschafts- und bildungspolitische Aufgaben erfüllen. Die besondere Funktion eines neuen „Museums der Kulturen“ besteht in der Beobachtung des Neben- und des Miteinanders von Kulturen. Es ist damit also kein Ort der Kontemplation oder der elitären Bildung, sondern vermittelt Zugänge zu Phänomenen wie Vielfalt, Differenz, Selektion und Uniformierung.

Kulturanthropologische Studien zu den Unterschieden zwischen dem Eigenen und dem Fremden, aber auch soziologische und politische Auseinandersetzungen haben immer sowohl identitätsstiftende als auch identitätskritische Funktionen ausgeübt. Vielfalt fördert Unterschiede, Uniformierung lässt diese verschwinden. Beides kann zu Problemen im Umgang miteinander führen.

 

Ein ungewöhnlicher musealer Zugang schafft die Grundlage für ein interkulturelles Verständnis und weckt Interesse am je Anderen.

 

  1. Das neue Museum überwindet die althergebrachten Topoi von „heimischer“ versus „fremder“ Kultur. Es vermeidet auch die jahrhundertealte Trennung zwischen den Kulturen Europas und jenen der übrigen Welt.  Dennoch untersucht es die durch Globalisierung und europäische Einigung brüchig gewordenen lokalen und regionalen Identitäten. Dabei nimmt es ungewohnte Perspektiven ein und stellt thematische Bezüge zwischen Daseinsentwürfen her. Das neue „Museum der Kulturen“ überträgt Erkenntnisse aus der Vergangenheit ins heute, agiert auch mit Gegenbeispielen und reflektiert jedenfalls mit unterschiedlichen Methoden das Verhältnis vom „Eigenen“ zum „Anderen“.

 

Indem das je Eigene von Kulturen dargestellt wird, können manche Trennlinien als imaginiert entlarvt beziehungsweise tatsächlich existierende Grenzen als unnötige Barrieren in Frage gestellt werden.

 

  1. Gleichzeitig versteht sich das Museum als Zentrum der Auseinandersetzung mit regionalspezifischen oder kulturell eigenständigen Besonderheiten als einer Bandbreite von Optionen zur Befriedigung universaler Grundbedürfnisse. Anhand vergleichbarer Exponate werden verschiedene Lösungsansätze zu Grundfragen der eigenen Gesellschaft und des menschlichen Zusammenlebens gegenüber gestellt, zur Arbeit, zu Altern, zu Bildung, Recht und Geschlechterverhältnis, zum Umgang mit der Umwelt u.v.m..

 

Die Gegenüberstellungen tragen zur Erklärung eigener und fremder Weltbilder bei.

 

  1. Das „Museum der Kulturen“ wendet sich auch verdrängten Aspekten der Vergangenheit zu, insbesondere dem Kolonialismus und seinen bis in die Gegenwart reichenden Auswirkungen. Und es behandelt die „Volkstümelei“ beziehungsweise ähnliche nationale Narrative, die Geschichte gerne für ihre Zwecke einfärben.

 

Das Publikum erkennt historisch gewachsene Einstellungen gegenüber anderen Lebensentwürfen

 

  1. Auf Grundlage kulturanthropologischer Erkenntnisse behandelt das neue Museum auch das Thema Migration und seine Funktionen beziehungsweise Auswirkungen im Zusammenhang mit kulturellem Austausch als ein immer wiederkehrendes historisches Phänomen. Mit jeder Migration entstehen Interaktionen. Die Förderung des wechselseitigen Verständnisses unterstützt den Prozess der Integration und hilft der ständig wachsenden Zahl von Menschen mit heterogener Herkunft bei ihrer Orientierung.

 

Mit dem neuen Museum entsteht ein Ort der Begegnung, der gesellschaftspolitische Veränderungen im Zusammenhang mit einem Austausch von Kulturen lebendig reflektiert.

 

 

  1. Das neue Museum sieht sich nicht als Musentempel zur Pflege unveränderlicher Wahrheiten, sondern als Teilnehmer an einem lebendigen Prozess der kritischen Aneignung von Vergangenheit durch die jeweilige Gegenwart. Die Sammlung von etwa 500.000 Exponaten aus Kulturen aller Kontinente bildet zwar das starke Rückgrat, Ausstellungen werden aber grundsätzlich von umfangreichen Rahmenprogrammen und Veranstaltungsreihen begleitet. Als Anpassung an schnell wechselnde Interessen und Sehgewohnheiten des Publikums ist es vielleicht sogar umgekehrt notwendig, von Programmen zu sprechen, die mit ausgestellten Objekten unterfüttert werden. Besondere Bedeutung bekommen dabei prozesshafte Formen der Vermittlung. Ein eigener Raum im Bereich des Foyers kann beispielsweise kurzfristig auf aktuelle kulturelle Trends oder politische Themen reagieren und Hintergrundinformationen präsentieren. Diskussionen, Vorträge oder Symposien begleiten und kommentieren die Zusammenhänge.

 

Durch den  diskursiven Charakter und seine Prozessorientiertheit unterscheidet sich das neue Museum jedenfalls deutlich von ähnlichen Museen.

 

  1. Sein Programm stützt sich auf die enge Verbindung mit der kulturanthropologischen Forschung und zu den Cultural Studies, zu welchen es durch eigene Aktivitäten insbesondere in Fragen der Kulturgeschichte und ihren Ausdrucksformen – vom einfachen Ritual über die Sprache bis zur Kunstproduktion – wertvolle Beiträge leistet.

 

Durch die Einbindung nationaler und internationaler Forschungs- und Kooperationspartner (Museen, Universitäten,  Vereine und Source Communities“ – um deren Perspektive zu integrieren) wird das Museum zu einem international anerkannten Zentrum der Diskussion über kulturelle Brüche und Friktionen.

 

  1. Die Einbeziehung bisher kaum repräsentierter Bevölkerungsgruppen in den Museumskontext ermöglicht Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen eine Zusammenarbeit in Workshops, Diskussionsforen und anderen Formaten:

 

Das Museum wird zum Kompetenz- ja sogar zum Beratungszentrum.

 

  1. Einen wichtigen Part übernimmt die systematische Sammlung von charakteristischen Kulturgütern über die materiellen Objekte hinaus. Dabei spielt die digitale Datenbank als Speicher immateriellen Kulturgutes eine genauso wichtige Rolle wie die Zusammenarbeit mit den anderen staatlichen Museen und vor allem der Nationalbibliothek, mit der das neue Museum einen gemeinsamen Speicher aufbauen kann.

 

Das neue Museum begreift Kulturen in ihrer Pluralität und schließt damit eine Lücke in der staatlich-österreichischen Museumslandschaft.

 

10. Das „Museum der Kulturen“ könnte in den Räumlichkeiten des gegenwärtigen Museums für Völkerkunde in der Neuen Burg am Heldenplatz in Wien eingerichtet werden, müsste aber eine eigene, unabhängige wissenschaftliche Anstalt und juristische Person sein. Die Zusammenführung von Völkerkundemuseum und dem Österreichischen Museum für Volkskunde ist mit einer Loslösung des Museums für Völkerkunde aus dem Verband des Kunsthistorischen Museums unabdingbar verbunden und erfordert eine Novellierung des Museumsgesetzes.

 

Die Verwirklichung dieses ambitionierten Ziels kann nur mit der entsprechenden politischen und finanziellen Unterstützung erreicht werden.