Warum ich gegen das Hochhaus am Heumarkt stimmen werde. Ein Einspruch

Die Unesco ist eine völkerverbindende Organisation. Sie ist Teil der UNO, kümmert sich um globale Bildungs-und Kulturpolitik und orientiert sich an ihren gemeinsam mit allen Staaten ausgehandelten Regeln. Mag sein, dass sie gerade deswegen nicht immer allen Wünschen der Regierenden entspricht. Das ist der Sinn von völkerrechtlichen Verträgen. Einmal unterzeichnet, sollten sie unabhängig von aktuellen Präferenzen aus Politik und Wirtschaft wirksam bleiben. Die Genfer Flüchtlingskonvention beispielsweise bemüht sich um faire Behandlung von Flüchtlingen, auch wenn die gerade wenig willkommen sind.

Österreich hat die Konvention zum Schutz des historischen Welterbes ratifiziert. Diese Konvention verpflichtet die Regierung, alles zu tun, um für künftige Generationen zu erhalten, was für die ganze Welt von kultureller Bedeutung ist. „Wenn man den Vertrag eingeht, muss man die Unesco als Korrektiv anerkennen“, sagt die Wiener Planungsstadträtin Maria Vassilakou (siehe dazu auch Interview Seite 15, Anm. der Red).

Zum Beispiel beim historischen Zentrum Wiens. Das Zentrum macht ein Prozent der Wiener Gesamtfläche aus und die Stadt wollte auf diesen geschlossenen Stadtkern aufpassen. Für die ganze Welt. Wien wollte aufpassen. Nicht die Unesco. Die Aufgabe der Weltorganisation ist es lediglich, rechtzeitig zu warnen, wenn ein einmaliges Erbe Gefahr läuft, ruiniert zu werden. Werden die Warnungen ignoriert, bleibt ihr nur, das, was einmal wertvoll für alle war, wieder zu vergessen. Das Wildschutzgebiet in Oman wurde von der Welterbeliste gestrichen, weil die Regierung am Areal Ölbohrungen durchführen musste.

Seit vier Jahren macht die Unesco auch Österreich auf Verpflichtungen aufmerksam. Am Heumarkt in Wien gefährdet ein Plan für Hochhäuser mit Luxuswohnungen den Welterbestatus und, wie es aussieht, ist die Politik nicht in der Lage, dem spekulativen Projekt etwas entgegenzusetzen. Lieber verzichten Bundes-und Stadtregierung auf das Prädikat Welterbe als auf ein Haus, dessen Notwendigkeit schwer überschätzt wird.

Dabei geht es nicht um Zentimeter. Die maximale Bauhöhe soll um 23 Meter überschritten werden. Aber es geht nicht einmal um Meter. Es geht um Weitreichenderes. Zum einen geht es um das Ansehen, das Wien und Österreich bei allen verliert, die sich zu völkerrechtlichen Prinzipien bekennen. Bei einem Pakt zum Schutz von Kulturgut ist die Kulturnation drauf und dran, sich ordentlich zu blamieren. Wer könnte nachvollziehen, wenn mitten in Venedig ein 66 Meter hoher Luxuswohnturm gebaut wird, damit in seinem Schatten Boccia gespielt werden kann?

Zum anderen geht es um die Folgen der Hochhäuser von Michael Tojner am Heumarkt. Das Projekt ist ein Trojaner. Mit dem Welterbesiegel verliert die Stadt nämlich den letzten Garanten dafür, dass im Zentrum nicht hochgezogen wird, wo es geht. Hochgezogen, nicht für leistbaren Wohnraum, sondern für Luxuswohnungen mit Blick auf ein Zentrum, das alsbald nichts mehr hergeben wird. Wie sollen weitere Widmungen verwehrt werden, wenn sie anderen gewährt wurden? Der Welterbestatus konnte bislang als Ablehnungsgrund dienen, ohne ihn aber wird das Zentrum den Interessen bauwütiger Investoren ausgeliefert.

Wie gesagt, internationale Abkommen passen nicht immer allen. Aber bislang war es in Österreich undenkbar, dass sich Entscheidungsträger wie der Wiener Bürgermeister kritisch zu einem gültigen Völkerrechtsvertrag äußern. Noch dazu zu jenem Vertrag, den er selbst herbeigesehnt hatte. Erst war er stolz auf die Auszeichnung, jetzt aber, weil nicht mehr alles nach den Wünschen der Investoren verändert werden darf, ist sie entbehrlich. Jetzt will er, dass „wir Herr in unserem eigenen Haus bleiben“. Wer, wir? Die Baulöwen oder die Wiener Bevölkerung? Das Beharren auf Selbstbestimmung wäre ja verständlich. Gemeinden lassen sich ungern etwas vom Landtag vorschreiben, Bundesländer nicht vom Parlament, Nationalstaaten nicht von der EU. Das Mir-san-mir-Argument ist allerdings nur so lange verständlich, als die eigenen Interessen nicht die übergeordneten, alle betreffenden Interessen tangieren.

Wenn wir das Welterbesiegel nicht behalten wollen, weil es Investoren einschränkt, sollten wir zumindest den Mut aufbringen und offiziell aus dem völkerrechtlichen Vertrag aussteigen. Das würde nicht alle freuen, wäre aber korrekt. Wir würden es wie die Briten mit dem Brexit machen. Österreich hingegen bevorzugt das polnische Modell. Die Vereinbarungen werden ignoriert, schauen wir, was passiert. Wir beteuern, wie wichtig uns das Welterbe ist, und tun gleichzeitig alles, um es zu verlieren. Danach schieben wir die Schuld auf die böse Unesco, weil sie die Ansicht vertritt, dass eine 66 Meter hohe „Hundehütte“ (Zitat Häupl) nicht zum Gründerzeitensemble passt.

Die Unesco ist weder bös noch konservativ. Sie weiß, dass geschützte Zonen keine Freilichtmuseen sind. Dafür liefern sämtliche weltweit geschützte Areale alle Belege. Rom, Lyon oder Prag pulsieren trotz, ja vielleicht sogar wegen ihres Gütesiegels. Und Wien genauso.

Falter“ Nr. 13/2017 vom 29.03.2017 , Seite 41

Ressort: Stadtleben

Widerrede: Wolfgang Zinggl