Der Mangel an verbindlichen Maßstäben in der Kunst hindert die Menschen nicht, über ihre Werte zu diskutieren. Dabei werden oft genug wichtige Fragen zu den Eigenschaften der jeweiligen Arbeit (für wen leistet das Werk was?) durch die oberflächliche Vergabe des Qualitätsprädikats verdeckt.
Es ist wie bei Markenartikelherstellern, die in der Beschreibung ihrer Angebote mit dem Wort „Qualität“ gerne suggerieren, Qualität an sich wäre der erstrebenswerte Wert.
Auch in der Wissenschaftschaftspolitik wird mit dem Begriff oberflächlich argumentiert. 1999 wurde die Bologna-Erklärung unterzeichnet, mit der sich 33 Staaten unter anderem auf die „Förderung der europäischen Zusammenarbeit in der Qualitätssicherung“ von Universitäten festlegten. Was darunter zu verstehen war, blieb undefiniert.
Wenn also der Literaturpapst von „guter Literatur“ spricht, ohne weiter darüber zu reflektieren, welche Kriterien dafür ausschlaggebend sind, geht er davon aus, dass es zu diesen Kriterien Übereinstimmung gibt. Wer das Wort Qualität verwendet, ohne zu erläutern, worauf sie sich bezieht, geht davon aus, dass die anderen sämtliche Eigenschaften, die diese Qualität ausmachen, mitdenken. Etwas hat Seidenqualität, wenn es Eigenschaften besitzt, die wir von Seide kennen. Hat etwas malerische Qualitäten, entspricht es dem, was von Malerei erwartet wird. Besteht darüber keine Einigung, reicht das Wort Qualität als Prädikat allerdings: nicht aus. Dann umschifft das Zauberwort lediglich alle umstrittenen Fragen nach dahinter liegenden Kriterien. Die „Qualität“ bleibt dann nur noch ein Synonym – oder besser der Schatten – zum Kunstbegriff, weil doch Kunst immer gute Kunst sein möchte. Kunst ohne Qualität wird ja als solche gar nicht anerkannt.
Eigentlich sollte in der Kunst, in der Wissenschaft oder bei Waren von Qualität erst gesprochen werden, wenn klar ist, worauf sich dieses Prädikat bezieht. Bei einem Fahrzeug könnte die Qualität aus Faktoren wie Sicherheit, geringem Benzinverbrauch oder Größe bestehen. Genauso gut könnten aber auch Höchstgeschwindigkeit, Beschleunigung und Hubraum maßgeblich sein. Fahrzeuge haben nur im Verhältnis zu den vereinbarten Idealvorstellungen Qualität, denen sie mehr oder weniger entsprechen.
Wer einen geringeren Energieverbrauch, weniger Platzbedarf und mehr Sicherheit bevorzugt, hat aber andere Bedürfnisse als jemand, der auf Geschwindigkeit, Größe und Aussehen achtet. Ähnliches gilt für die Kunst. Auch in der Kunst verbergen sich hinter den verschiedenen Vorstellungen von Qualität Bedürfnisse, die strukturell mit Daseinsentwürfen und kulturellen Selbstverständlichkeiten verbunden sind. Eine Gruppe, die das Neue lockt, die ausprobiert und experimentiert, hat – unausgesprochen – eine andere Vorstellung von dem, was Qualität in der Kunst sein soll, als eine konservativ-konservierende Gesellschaft, die sich grundsätzlich den Ansichten ihrer Vorfahren anschließt, dem Tradierten vertraut und der Kontinuität einen hohen Stellenwert einräumt.