Die Vorstellung, Kunst und Wissenschaft wären aufgrund ihrer inneren Verfasstheit immer schon klar unterscheidbare Disziplinen gewesen, hat keine historische Grundlage. Vielmehr sind beide Begriffe durch ihre gesellschaftliche Anwendung im Verlauf der Geschichte erst zu dem geworden, was sie heute bedeuten.
Ihre ursprünglichere Verwendung hingegen zeigt eine enge Verknüpfung. Schon die Griechen der Antike ordneten ihr Wissen in verschiedene »technae«. Mit Hilfe dieser Techniken (oder Fertigkeiten) ließen sich alle Teilbereiche des Lebens bewältigen. So gab es die Fertigkeit der Navigation, der guten Rede, des Heilens usw. Heute wird das Wort Kunst in diesem Sinne verwendet, wenn im Zusammenhang mit besonderen Fähigkeiten etwa von der Kunst des Kochens, des Ballspiels oder des Zauberns etc. die Rede ist. Alle technae verwendeten dieselbe Methode: Erstens Erfahrung auf dem jeweiligen Gebiet zu sammeln, zweitens dahinterliegende Gesetzmäßigkeiten und Regeln zu erkennen, drittens das erkannte und erfahrene Wissen neu zu strukturieren, wenn es auf erkannte Phänomene nicht anwendbar war und viertens, das jeweils zuletzt strukturierte Wissen weiter zu geben. Diese Methode entspricht aber eher der heutigen Vorstellung von Wissenschaft. Und bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass auch die Kunst häufig so operiert. Wenn es etwa um die Veranschaulichung geht, wenn Regeln oder der Bruch von Regeln kenntlich gemacht werden, vollziehen sich analoge Prozesse: das Sammeln und Ordnen von Material, der Vergleich des Gesammelten nach unterschiedlichen Gesichtspunkten, und schließlich ein Angebot, das Gesammelte unter völlig neuen Aspekten zu begreifen. Sowohl die Bildhauer der Renaissance als auch die Mechaniker des 18. Jahrhunderts haben darüber nachgedacht, wie sie die bekannten mathematischen und physikalischen Gesetze kombinieren können und wenn keine traditionelle Vorgangsweise greifen wollte, entstand ein Möglichkeitsraum, ein Plateau für Innovationen. Somit sind beide Bereiche Kunst und Wissenschaft eine Art Anwendung beziehungsweise auch neuartige Verknüpfung der Module des Orgelwerks.
Später teilte sich techné in die »handwerklichen Künste« – und in die »freien Künste«. Unter der »freien Kunst« war vor allem Wissen subsumiert, das heute eher der Naturwissenschaft zugeordnet wird (Logik, Arithmetik, Geometrie oder Astronomie), während Malerei, Bildhauerei, das Theater oder der Tanz, die heute als Kunst gelten, Handwerke waren. Die Maler waren also keine freien Künstler sondern Handwerker. Erst in der Renaissance mit der Entwicklung der geometrischen Perspektivendarstellung erhoben Leonardo und Rafael den Anspruch, Teil der gesellschaftlich weit höher angesiedelten freien Kunst zu werden. Mit der Emanzipation der Malerei entfernten sich allerdings die „logischen“ Disziplinen wie Geometrie und Arithmetik aus der freien Kunst und sie begründeten die heutige Vorstellung von Naturwissenschaft.
Das Verständnis von Kunst und Wissenschaft hat sich also im Laufe der Jahrhunderte fundamental gewandelt. Es ist daher anzunehmen, dass es sich auch weiter wandeln kann und wird. Beide haben ja ihre methodischen Strategien mittlerweile ausgetauscht und sind Teil desselben Erkenntnisprozesses. Die disziplinäre Trennung von Wissenschaft und Kunst wäre deshalb eigentlich nicht mehr gerechtfertigt. Es läge also nahe, unabhängig von den alten Kategorien aus den Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen, die Brauchbare zu wählen, um den jeweils angestrebten Zweck zu erreichen. In erster Linie geht es doch darum, was wofür gemacht wird.
In den letzten beiden Jahrzehnten haben künstlerische Initiativen den Austausch mit philosophischem und wissenschaftlichem Denken intensiviert und die ästhetische Praxis erweitert. Als eine elementare Intention der Kunst des letzten Jahrhunderts hat sich die Forderung nach dem Heraustreten aus ihrem selbstreferentiellen Kontext erwiesen. Mit einem radikal veränderten Kunstbegriff konnte gesellschaftlich und politische durchaus wirkungsvoll operiert werden. Etwa mit der Definition von künstlerischer Aktivität als sozialer oder ökologischer Intervention.
Auch die Wissenschaft hat ihre alte Prämisse, die Suche nach dem Zugrundeliegenden über experimentelle Versuchsanordnung hintangestellt und versucht, transdisziplinäre Wege zu gehen. Neue Dramaturgien und narratives Herangehen rücken in den Blickpunkt, die durchaus auch als künstlerische Inszenierungen verstanden werden können. Wenn beispielsweise ein Schriftsteller mit einer Historikerin ein Drehbuch schreibt. Oder wenn ein Team von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern gemeinsam durch Österreich fährt um in kleinen Gemeinden ein paar Tage lang mit der Bevölkerung zu erkunden, was vor Ort verbessert werden könnte, dann handelt es sich um eine Aufgabenstellung, wie sie von der traditionellen Wissenschaft in dieser Weise nicht vorgesehen war.