Kunstgeschichte ist, wie jede Geschichte, eine Geschichte der Sieger und Siegerinnen.

Das Merkwürdige an ihr ist, dass sie Werte einfriert. Sie möchte sich keine Gedanken mehr darüber machen, was von den Alten warum überliefert wurde, sondern baut ungeprüft auf deren Werten auf. Objekte, einmal als Schätze inventarisiert, bleiben Schätze – vielleicht auch, weil sie mit anderen Produkten, die mittlerweile vergessen sind, gar nicht mehr in Konkurrenz treten können. Wo in den Sockeln der Erinnerung nur die Namen der Sieger und Siegerinnen zu finden sind, geraten die übrigen TeilnehmerInnen am längst abgelaufenen Wettkampf in Vergessenheit. Ist die konstante Wertschätzung des Überlieferten aber wirklich ein Beleg für „Kunst“? Das meinte Marcel Duchamp, als er davon sprach, dass im Louvre auch ganz andere Bilder hängen könnten.

Natürlich: Was bewahrt wurde, war offensichtlich des Aufhebens wert und wird schon deshalb geschätzt. Aber wie kann einem Werk absolute Qualität zugesprochen werden, wenn doch alle Werturteile nur von Menschen kommen können? Wir sagen, etwas ist Kunst, weil es über die Jahrhunderte geschätzt und bewahrt wurde, und wir sagen auch, etwas wird bewahrt, weil es Kunst ist. Ein Zirkelschluss.

 

Wenn wir Kunstgeschichte als Ideengeschichte darstellen und den Blick auf die Abhängigkeit der Kunstproduktion richten, auf die Geschmäcker, Ideologien und politischen Ziele jener Menschen, die bestimmen konnten, was zu ihren Zeiten Kunst war und was nicht, dann können wir erkennen, wie das System heute aussieht. Was auch heute noch von wem aus welchen Gründen als Kunst gesehen wird. Eine Gesellschaft, die sich für eine demokratische Diskussion entscheidet, wird sich jedenfalls bemühen, all jene, die sich für Kunst interessieren, aufzuklären – und zwar nicht nur darüber, was im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte als Kunst anerkannt wurde, sondern vor allem über die Gründe, warum das Eine und nicht das Andere in den Genuss des Kunst-Seins kommen durfte.